27.01.2019

»Verteidigen wir unsere demokratischen Werte jeden Tag«

Rede von Ministerpräsident Michael Kretschmer am 27. Januar 2019 im Sächsischen Landtag anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, meine Damen und Herren Abgeordnete, Frau Präsidentin Munz!
 
Vielen Dank Herr Präsident, dass auch in diesem Jahr diese Gedenkstunde hier im Hohen Haus stattfinden kann. In der Tat, der Holocaust ist ein so unglaublicher und unfassbarer Zivilisationsbruch, der singulär in der Geschichte steht, dass es nicht verwundert hätte, wenn Deutschland und die Deutschen danach auf Dauer aus der zivilisierten Weltgemeinschaft ausgeschlossen worden wären. Dass es anders gekommen ist, hat mit der Bereitschaft zur Vergebung von denjenigen zu tun, die zum Opfer geworden sind und mit demstarken und großen Willen der anständigen Menschen in Deutschland, die Verbrechen des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, sich ihnen zu stellen und die Erinnerung über Jahrzehnte bis heute wachzuhalten.
 
So ist es auch unser Wille hier im Freistaat Sachsen, dass wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wie es zu diesem furchtbaren Verbrechen kommen konnte. Es macht uns unruhig und unzufrieden, dass wir den Eindruck haben, in der jungen Generation könnte das Wissen um die Ereignisse nachlassen oder es könnte zu einer anderen Bewertung kommen. Deswegen braucht es Anlässe wie den heutigen, um sich immer wieder zu vergegenwärtigen und zu versichern, wo sich unser Standpunkt befindet.
 
Und wir brauchen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, die nie ein Ende haben wird, weil damit der ständige Diskurs, das Gespräch darüber und die Wissensvermittlung verbunden sind. Aber wir stellen auch an vielen ethischen und moralischen Fragen in der heutigen Zeitfest, dass wir wieder neu gefordert sind, dass sich das Koordinatensystem verändert hat, dass man auf der Suche nach dem richtigen Standpunkt ist, z. B. bei der Präimplantationsdiagnostik, bei der Sterbehilfe und bei vielen, vielen anderen Fragen. Deswegen ist es gut, dass wir darauf einen großen Schwerpunkt legen.
 
Wir erleben, dass sich über die Jahrzehnte viele naturwissenschaftliche Erkenntnisse durchsetzen, die es so in der Vergangenheit nicht oder nicht in der Klarheit gegeben hat. Das Deutsche Hygienemuseum hat uns vor wenigen Monaten eine beeindruckende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der »Rassentheorie« hier in Dresden geliefert. Ich fand es eine beeindruckende Darstellung der Tatsache ― und das in aller Klarheit, dass es nicht einmal im Ansatz so ist, dass man Menschen in »Rassen« unterscheiden kann, wie es die Rassenideologie der Nationalsozialistengetan hat.
 
Und deswegen, meine Damen und Herren, hatte ich nie einen Zweifel daran ― und habe ihn auch heute nicht, dass an deutschen Schulen die Rassenideologie von vor 70 Jahren nie wieder gelehrt werden könnte. Aber dass es überhaupt so ist, dass man in Lehrbüchern Menschen anhand von Rassenmerkmalen unterscheidet, ist eine Sache, die wir so nicht hinnehmen können. Deswegen haben wir auch hier in Sachsen ein Gespräch dazu geführt: Diese Arbeitshefte und Bücher wird es im Unterricht nicht mehr geben, weil sie wissenschaftlich falsch sind. Und wenn wir jungen Leuten falsches Wissen vermitteln, kommen sie zu falschen Schlüssen und falschen Ergebnissen. Deswegen ist es gut, dass wir dieses Thema jetzt auch beendet haben.
 
Und wie schnell man auf eine schiefe Ebene geratenkann, sieht man ja an dem Begriff des »Volksverräters«, der ― zunächstin den Jahren der Weimarer Republik ― immer mehr in den Diskurs und die öffentliche und politische Diskussion mit wenig Widerspruch Einzug gehalten hat. Für viele Menschen, die dann von den Nationalsozialisten als »Volksverräter« verunglimpft wurden, bedeutete dies am Ende die Erschießung oder denTod am Strang in Plötzensee.
 
Für uns geht es bei Veranstaltungen wie dieser und der stets aufs Neue geführten Auseinandersetzung mit unserer Geschichte auch darum, ein Abrutschen auf diese schiefe Ebene aufzuhalten, einen klaren Standpunkt, ein klares Koordinatensystem zu haben. Ich bin dankbar für das täglich erlebte Vertrauen, vor allem von Seiten der jüdischen Gemeinde in Sachsen, und ich freue mich über diese lebendige fröhliche Kultur der jüdischen Kulturtage in Chemnitz, Leipzig und Dresden. Ich bin dankbar, dass wir es im vertrauensvollen Gespräch miteinander geschafft haben, einen Weg zu finden für die Bestellung eines Beauftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus im Freistaat Sachsen. In wenigen Wochen werden wir dazu die Person vorstellen.
 
Ich freue mich auf die intensive Arbeit und Auseinandersetzung, denn eines ― und das soll an diesem Tag noch einmal deutlich ausgesprochen werden ― eines werden wir im Freistaat Sachsen nicht dulden: Antisemitismus und Rassismus. Antisemitismus und Rassismushaben hier bei uns keinen Platz, und das ist gesellschaftlicher Konsens. Wer den bricht, stellt sich außerhalb dieses Konsenses und wird mit aller Härte von Recht und Justiz belangt werden.
 
Herzlichen Dank.
 
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