03.10.2019

Tag der Deutschen Einheit 2019

Traditionell beginnt der Sächsische Landtag den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober mit einem Festakt.

Geladen sind neben Abgeordneten des Landtags, des Europaparlaments und des Bundestags auch Mitglieder der Staatsregieurng und Personen des öffentlichen Lebens. Dieses Jahr hielt Journalist und Autor Ulrich Wickert vor dem Publikum die Festrede. Am Nachmittag lud das Parlament wieder alle Bürger traditionell zum »Tag der offenen Tür« ein.

 

Festrede von Ministerpräsident Michael Kretschmer

»Wir haben dieses Land aufgebaut ― gestalten wir es weiter!«

― Es gilt das gesprochene Wort ―

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

meine Damen und Herren Abgeordnete,

Mitglieder der Staatsregierung,

liebe Frau Verfassungsgerichtspräsidentin Munz,

lieber Herr Wickert,

sehr geehrte Ehrengäste!  

Vor wenigen Tagen durfte ich vier Leipziger Bürger auszeichnen, die im Herbst 1989 mit einem selbstgestalteten Plakat mit der Aufschrift »Für ein offenes Land mit freien Menschen« gegen den SED- und Stasi-Staat und gegen die Repressalien in der DDR demonstriert haben. Gesine Oltmanns, Katrin Hattenhauer, Uwe Schwabe und Christian Dittrich wussten sehr genau, welcher Gefahr sie sich aussetzten, als sie am 4. September 1989 mit ihrem Plakat aus der Nikolaikirche heraustraten und so dem Obrigkeitsstaat die Stirn boten. Der Mut dieser vier Menschen steht stellvertretend für viele Tausende und Hunderttausende, die in den folgenden Wochen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gegangen sind.

Und dieser Mut, meine Damen und Herren, der sich später in anderen Überschriften ausdrückte wie »Wir sind das Volk« und einige Wochen später »Wir sind ein Volk«, war die Voraussetzung dafür, dass das Wunder der Friedlichen Revolution gelingen konnte. Danach kam das Wunder der deutschen Einheit genauso wenig voraussetzungslos wie das erste, das wir erlebt haben. Es brauchte Menschen in der Bundesrepublik, die europäisch vernetzt waren, die Vertrauen genossen in der Welt und die die Kraft und die Vision hatten, das Ganze zusammenzuführen. Helmut Kohl war einer davon. Daran schloss sich das dritte Wunder an ― und das, meine Damen und Herren, haben wir alle gemeinsam geleistet: wir hier in Deutschland, in Ost wie West. Wir haben in den vergangenen 29 Jahren dieses Land aufgebaut. Wir haben die Umweltsünden der DDR beseitigt. Wir haben heute eine viel höhere Lebenserwartung als noch vor 1989. Wir haben dieses Land gestaltet ― wir hatten 40 Jahre eine unterschiedliche Erzählung, haben aber mittlerweile auch 30 Jahre eine gemeinsame.

Wir hier in den neuen Bundesländern, im Freistaat Sachsen haben dieses vereinte Deutschland mitgestaltet. Dabei gab es Niederlagen und verpasste Chancen. Ich hätte mir gewünscht ― und rückblickend wäre es bestimmt eine sehr wichtige Entscheidung gewesen, wenn es gelungen wäre, nach 1989/90 dieser Bundesrepublik Deutschland eine neue, eine gemeinsam erarbeitete Verfassung zu geben. Aber das ist nicht passiert, und es ist eine verpasste Chance. Viele andere Chancen, meine Damen und Herren, haben wir genutzt. Wir haben das Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland verändert, haben unsere Ideen, die wir hier in Sachsen entwickelt haben, mit eingebracht. Wir haben die Wissenschaft geprägt: Heute ist das, was Krebsforschung in Deutschland ist und damit die Chance, Menschen von dieser schweren Krankheit zu heilen, wesentlich geprägt von dem, was in Dresden passiert, aufgebaut von denjenigen, die seit 1990 hier das Wissenschaftssystem aufgebaut haben. Was Diabetes und Alzheimer betrifft, wird die Forschung im Wesentlichen von den Wissenschaftlern aus Leipzig mit bestimmt. Wir haben es geschafft, dass die Mobilität ― gerade was die Elektromobilität angeht ― hier aus Sachsen einen neuen Innovationsschub bekommt.

Wir haben es geschafft, dass die großen Katastrophen, wie beispielsweise das Jahrhunderthochwasser, das uns auch hier in Sachsen so sehr beschäftigt hat, gemeinsam bewältigt werden. Wir haben Bundespräsidenten gewählt, wir haben eine ostdeutsche Bundeskanzlerin, wir haben dieses Land gestaltet. Dies sage ich deswegen, weil das Eine oder Andere, was in diesen Tagen diskutiert wird ― natürlich nicht alles, aber mit Sicherheit zu viel ― viel zu statisch und viel zu mutlos ist, und manches an Debattenbeiträgen auch zu wohlfeil.

Ich möchte, dass wir darüber sprechen ― und das wünsche ich meinem Vaterland und unserem Freistaat Sachsen, dass es uns gelingt, die zwölf Monate, die jetzt vor uns liegen bis zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit, damit zu verbringen, was wir gemeinsam noch erreichen wollen, was wir leisten wollen. Dass wir nicht das »Die« in den Mittelpunkt stellen, sondern so ― wie es der Landtagspräsident schon zitiert hat ― das »Wir«: Was wollen »Wir« gemeinsam erreichen?

Meine Damen und Herren!

Dazu gehört die kritische Diskussion, der ehrliche Blick, das Zuhören ― so, wie es die sächsische Staatsregierung in den vergangenen 20 Monaten geleistet hat. Und so wie es die neue Staatsregierung, die ja wahrscheinlich am heutigen Nachmittag einen weiteren Schritt in diese Richtung tun wird, es auch in Zukunft leisten wird: miteinander reden, zuhören und aus diesem Zuhören auch konkrete Politik weiterentwickeln, dieses Land besser machen und dabei nie vergessen, was die Grundlagen unseres Wohlstandes und unseres Friedens sind: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft.

Herzlichen Glückwunsch zu diesem Nationalfeiertag. Wir haben gemeinsam einen großartigen Erfolg errungen. Vieles liegt vor uns. Gott schütze unser deutsches Vaterland.

Tag der Deutschen Einheit - Rede Michael Kretschmer

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