12.11.2018

Rede zur Einführung der Friedensnobelpreisträger-Rede von H. E. Ellen Johnson Sirleaf

Rede von Ministerpräsident Michael Kretschmer zur Einführung der Friedensnobelpreisträger-Rede von H. E. Ellen Johnson Sirleaf aus Liberia am 12. November 2018 in der Frauenkirche

Madam President, sehr geehrte Frau Ellen Johnson Sirleaf, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete aus dem Sächsischen Landtag, aus dem Deutschen Bundestag, lieber Herr Landesoberkirchenrat Dr. Meis, lieber Her Hoof und lieber Herr Dr. Oetker, Magnifizenz, lieber Herr Pfarrer Feydt, ich freue mich sehr, dass wir heute einen ganz besonderen Ehrengast in unserer Dresdner Frauenkirche begrüßen können. Madam President, im Namen der Sächsischen Staatsregierung darf ich sie ganz herzlich hier im Freistaat Sachsen und in unserer Landeshauptstadt willkommen heißen. Es ist uns eine besonders große Ehre, dass Sie als Friedensnobelpreisträgerin diese Dresdner Reden mit Ihrem Vortrag bereichern. Diese Reden haben eine lange Tradition, und sie schaffen es immer wieder, die Aufmerksamkeit auf ein besonderes Thema zu lenken, was ja mit der Dresdner Frauenkirche seit ihrem Wiederaufbau verbunden ist: Die Friedensarbeit, die Mahnung, für Frieden und Verständigung einzutreten. Und ich bin der Stiftung Dresdner Frauenkirche sehr dankbar, dass sie es auch in diesem Jahr wieder geschafft hat, eine solche Rede auszurichten.

Völkerwanderungen und Bevölkerungswachstum sind wirkmächtige Trends, die unseren Planeten verändern. Beide sind nicht neu, im Gegenteil, sie sind konstanten der Menschheitsgeschichte, aber wir nehmen sie heute anders wahr, und wir haben andere Möglichkeiten der Mobilität. Die Herausforderung bleibt, mit Vielfalt umzugehen, mit Herz und Toleranz den anderen zu respektieren, und mit Verstand die Grundwerte des Zusammenlebens zu vereinbaren, zu verteidigen und zu leben. Ausgangspunkt ist immer, dass die Würde des Menschen unteilbar ist, denn genau das sagt das Menschenrecht. Sie, meine Damen und Herren, sind heute gekommen, um einer besonderen Frau zuzuhören, die für Ihr Engagement ― für die Friedensarbeit, für die Menschenrechte, für die Rechte der Frauen ― zurecht mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist. Sie blickt zurück auf ein facettenreiches Leben, eine profunde wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung in den USA. Wirtschaft und Finanzen spielten in ihrem Berufsleben immer wieder eine große Rolle, sei es in der Bankwirtschaft oder für die Vereinten Nationen.

Die Entwicklung Afrikas und die Menschenrechte wurden aber ihre Bestimmung, im Exil wie auch in Liberia. Das erste ist ohne das zweite nicht möglich. Eine gute Entwicklung erfordert »good governance«. Die ist ohne volle Teilhabe der Frauen nicht möglich. Wir haben heute Nachmittag intensiv darüber gesprochen. Und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass das Frauenwahlrecht in unserem Land gerade einmal 100 Jahre alt ist, sieht man, dass es eben lange nicht selbstverständlich gewesen ist, und auch nicht in anderen Ländern dieses Kontinents selbstverständlich ist. Es gilt, weltweit den patriarchalischen Strukturen den Kampf anzusagen. Und auch das Thema Migration haben Sie am eigenen Leib erfahren. Wer mehrfach im Exil überdauert hat und immer wieder zurückkehrt, der ist nicht nur in sich gefestigt, sondern will seinem eigenen Land aufrichtig dienen. Unser Bundespräsident würde Sie, nach seiner Rede vorgestern, wahrscheinlich einen »Aufgeklärten Patrioten« nennen. Dem Aufbau von Stabilität und Rechtstaatlichkeit in Liberia konnten Sie sich als Präsidentin widmen. Bessere Lebensbedingungen und eine verbesserte Menschenrechtslage gerade für die Liberianerinnen waren Ihr Ziel.

Als Präsidentin hat sich Ellen Johnson Sirleaf aktiv für die Frauenrechte und gegen Geringschätzung von Frauen in Liberia eingesetzt, wo mehr als die Hälfte aller Frauen Opfer sexueller Gewalt werden. Wie wichtig und wie aktuell dieses Thema ist, zeigt der diesjährige Friedensnobelpreis. 2018 hat da Nobelkomitee den Preis an Nadia Murad und Denis Mukwege für ihren Einsatz gegen sexuelle Gewalt als Kriegsmittel in bewaffneten Konflikten verliehen. Sie haben sich, Madam President, als erste Präsidentin Afrikas, auch durch Ihre gute Regierungsführung ― nicht zuletzt deshalb, weil Sie nach zwei regulären Amtszeiten, einen rechtstaatlichen Übergang sichergestellt haben ― ganz besonders zum Vorbild für viele andere gemacht. Ihr persönlicher Einsatz für die Schutzbedürftigen hat Ihnen den Kosenamen »Ma Ellen« eingetragen.

Schutzbedürftig sind vor allem Flüchtlinge. Deshalb haben Sie auch aktiv mitgearbeitet an dem gerade in Deutschland so intensiv diskutierten UN-Migrationspakt. Es ist die erste Übereinkunft von über 180 UN-Mitgliedsstaaten. Und meine Damen und Herren, dieser Pakt ist zu Unrecht so in der Kritik. Er ist ein Teil der Lösung der großen Migrationsfragen unserer Zeit. Denn das, was da aufgeschrieben steht, soll regeln und klären, was in dieser Zeit so schwierig ist. Wenn ich heute lese, was mir da alles im Internet geschrieben worden ist, auch heute über diesen Pakt, entbehrt jeder Grundlage. Dort soll geklärt werden, dass der Missbrauch von Kindern, sexuelle Gewalt gegenüber Frauen geächtet wird. Aus meiner Sicht eine Selbstverständlichkeit. Dort soll geklärt werden, dass der Schutz der Grenzen der Staaten natürlich bestand hat. Dort soll geklärt werden, dass ein rechtstaatlicher Umgang und ein Verfahren mit den Menschen organisiert wird, die als Flüchtlinge in andere Länder kommen. Eine Selbstverständlichkeit. Dort soll geklärt werden, dass nach einem Jahr auch die Arbeitsaufnahme von den Menschen, die als Flüchtlinge in ein anderes Land kommen, ermöglicht werden soll, damit sie ihr eigenen Lebensunterhalt erarbeiten können. Eine Selbstverständlichkeit und in der Bundesrepublik Deutschland nach drei Monaten bisher bereits Realität. Dort soll geklärt werden, dass staatliche Gewalt gegenüber Flüchtlingen, die in ein anderes Land kommen von Gesetzes wegen verboten werden soll. In Deutschland selbstverständlich eine Realität.

Aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass bei diesen 180 Ländern der geringste Teil eine Demokratie oder ein Rechtstaat ist, ist glaube ich klar, wie notwendig ein solcher Pakt nicht für die Bundesrepublik Deutschland, sondern für andere Teile dieser Welt ist. Und deswegen haben wir allen Grund dazu, erstens in diesem Land vernünftig darüber aufzuklären und zu reden, was aus meiner Sicht in den vergangenen Monaten unzureichend gelungen ist, und ich freue mich darüber, dass auch in Berlin jetzt ein anderer Umgang damit stattfindet, wie Debatten im Bundestag, aber auch im Sächsischen Landtag, überall, dass wir aufklären darüber. Aber wir haben auch allen Grund dazu, dafür zu sorgen, dass dieses Werk in Kraft tritt und vernünftige Regeln gelten ― so, wie das auch in unserem Land, in der Bundesrepublik Deutschland, möglich ist. Wir sind nicht diejenigen, die im Negativen davon betroffen sind, sondern wir sind diejenigen, die davon profitieren können, wenn in anderen Ländern Ordnung und Rechtstaatlichkeit herrscht.

Meine Damen und Herren: Ich habe mich über die Einladung von Ihnen, Madam President sehr gefreut, weil wir mehr über Afrika wissen müssen. Wir werden hier in Europa nicht in Frieden leben können, wenn in diesem Nachbarkontinent Chaos, Armut, Terror herrschen. Wir hier in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland, im Freistaat Sachsen haben ein großes Interesse daran, dass Afrika eine Zukunft hat. Und deswegen freue ich mich und unterstütze es auch, dass sich die Bundesregierung für einen Investitionspakt mit Afrika engagiert. Wir brauchen wirtschaftliche Perspektiven. Wir brauchen die Möglichkeit, dass die Leute dort auch ein gutes Leben in ihrer Heimat führen können, und wir brauchen hier bei uns in Deutschland Menschen, die aufgeklärt über diese Fragen diskutieren. Und ich möchte uns allen die Frage stellen, ob es wirklich so schwer ist, gegen Falschinformationen und billige Polemik anzugehen und zu widersprechen. Ich glaube, wenn man die Lebensgeschichte von Ihnen, Madam President, sieht, dann weiß man, was schwierig, was gefährlich, was unangenehm ist. Wir haben das Glück, hier in einem Rechtstaat zu leben, in einer Demokratie, wo jeder alles sagen kann, solange er sich an Recht und Gesetz hält. Und deswegen sind wir auch gefordert, zu widersprechen und unsere Meinung zu sagen, wenn uns etwas nicht gefällt. Noch einmal herzlich willkommen. Wir freuen uns auf Ihre anregende Rede.

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